CHINESISCHE GRÄBER
Wenn jemand von Euch zufällig viele Blumen so arrangiert sieht, wie man es bei uns tut, wenn jemand gestorben ist, täusch Dich bitte nicht. So machen Asiaten Werbung für etwas, was man kaufen soll oder bei der Geschäftseröffnung. Trauerfeiern hier haben eine andere Bedeutung und sogar andere Farben. Die Menschen kleiden sich in Weiß wie Mönche oder Menschen, die im Krankenhaus arbeiten. Man benutzt keine Blumen, sondern man nimmt weißes und gelbes Konfetti, rund und mit einem Loch in der Mitte. Der Wind trägt sie wie Schmetterlinge hinweg und die ganze Straße zum Friedhof ist voll solchen Schmuckes. Das Grab gleicht einer runden Pyramide aus Erdreich, aber dort werden keine Gebete verrichtet. Man betet zu Hause. Sie haben ein kleines Holzschild mit dem Namen des Toten und sie machen Reis- und Rauchopfer und sprechen zu der Seele des Toten und bitten Gott um Erbarmen wie wir es tun. Sie mögen unseren Fürbitten zu den Heiligen ähneln, aber die Kirche hat es nie eilig und erlaubt es uns nur einmal im Jahr, im November, zu den nicht feierlich erklärten Heiligen zu beten. Die Chinesen können das jeden Tag tun und dies ist ein ständiges großes missionarisches Problem. Einige Missionare, wie die Jesuiten, akzeptierten den Ahnenkult, andere, wie die Dominikaner, tadelten sie dafür, dass sie Ausnahmen vom offiziellen orthodoxen Glauben machten.
Die Pflicht zum Gebet für den Toten steht unter der Aufsicht des ältesten Sohnes oder, wenn er reich ist, beim Mönch, den er dafür bezahlt hat.
Man drückt sein Beileid nicht verbal aus. Während der Trauerfeier oder am Jahrestag kommt die engere Familie zusammen, um ein Gedächtnismahl einzunehmen und jeder, der zur Trauerfeier kommt, verbeugt sich vor Erinnerungstafel oder -photo der verstorbenen Person. Der älteste Sohn nimmt Umschläge mit Geldscheinen in Empfang.
In Hebei war ich bei solch einem Jahrtag zugegen. Es war nicht genau so wie ich es beschrieben habe. Die Familie war streng katholisch und der älteste Sohn war katholischer Priester aus der Provinz Hebei. Es ist die katholischste Gegend Chinas.
1. Buddhistische Beerdigungen
Im Fernsehen sah ich einen Film über ein Kloster in den Bergen, das einen Friedhof hat als Mönchsgarten mit Tonurnen. Der verstorbene Mönch wird in Tücher und Papier gehüllt, so dass man seinen Kopf sehen kann, wenn man hineinsehen will. Einige der Leichname verwesen nicht und die Haare wachsen weiter. Die Gesichter sehen wie bei einem Schlafenden aus.
Solch ein Mönch wird berühmt und seine Freunde gedenken seiner Worte und Taten. So ist die buddhistische Seligsprechung.
2. Taoistische Lehre von den letzten Dingen (Eschatologie)
Während meines Besuches im taoistischen Schrein stellte ich fest, dass viele der Aussagen über das zukünftige Leben sich nach jemandes Taten richteten. Mörder, schlechte Beamte und Priester werden im Jenseits bestraft werden; vielleicht werden einige von ihnen das Schicksal von Tieren teilen und nicht von Menschen, wegen ihrer Sünden. Solcherart Gedanken werden alle in ungefähr 1000 Statuen zum Ausdruck gebracht. Es war Eschatologie in Bildern.
3. Katholische "Exequien" (Totenfeierlichkeiten)
Ein andermal geschah es, das ich bei katholischen Totengebeten in der Ostkirche (St. Joseph) in Peking dabei sein konnte. Die Anwesenden bekamen zu Beginn der Messe ein kleines Bild mit Namen und Todestag der verstorbenen Person. Die Priester waren in violetten Ornaten gekleidet und die Messe unterschied sich nicht von anderen. Genau am Ende gab es keinen Segen durch den Priester, sondern er kam zum Ausgang der Kirche. Da war ein improvisiertes Podium mit dem Foto des Toten und ein kleines Tongefäß mit der Asche des Leichnams. Die Gebete mit Beweihräucherung dauerten 10 Minuten und dann segnete der Priester alle.
Ich vergewisserte mich, ob alle eingeäschert werden müssen, und der Priester erklärte freundlich, dass auf den Dörfern noch Beerdigungen wie in Europa stattfinden, aber dass der Staat in den Städten keine Beerdigungen gestattet außer nach Einäscherung.
4. Europäischer Friedhof
Den Dorffriedhof wie in Europa fand ich in Yun Tai Berg nahe der kleinen Stadt Xian Xian, welches das älteste Diözesanzentrum in der Provinz Hebei ist: genau 150 Jahre... . Es ist 300 km südlich von Peking.
In der Vergangenheit befand sich hier das Altenheim der Diözese. Deshalb gibt es hier eine so große Kirche und so viele Gebäude in einem sehr kleinen Dorf. In der Tat hat der Staat der Kirche das Kirchengebäude und andere Gebäude und auch ein kleines Stück des Friedhofsgeländes zurück gegeben, und der Bischof ist bemüht, die alte Tradition des Ortes wieder aufleben zu lassen. Die meisten europäischen Missionspriester hat man hier beerdigt und einige tausend anderer Katholiken, aber während der Kulturrevolution wurde alles zerstört und der Gemüsegarten ist noch da.
Um die Erinnerung an den alten Friedhof wach zu halten, gibt es dort eine symbolische Stele zur Erinnerung an die ehemaligen Missionare und viele neue Gräber derjenigen Priester, die nach Gefängnisaufenthalt bald an Krankheit und Alter verstorben sind. Meist waren dies chinesische Jesuiten.
In zwei Gräbern sind die Leichname von chinesischen Ortsbischöfen, eines Benediktinermönchs und einiger Diözesanpriester.
5. "Großvater Jesuit"
Ich besuchte gerade den Friedhof mit Priester Zhao und zwei Seminaristen. Einer von ihnen kam zu mir und, indem er auf eines der Gräber deutete, erklärte er: Es ist mein Großvater... .
"Großvater?" fragte ich überrascht. "Großvaters Bruder", sagte der Junge, ohne sich zu schämen. Ich verstand wieder, wie die Chinesen über ihre Verwandten sprechen. Sie nennen eine völlig unbekannte Person vielleicht Schwester "gunia". Im gleichen Sinne können wir im Evangelium die Rede von den "Brüdern Jesu" finden.
Es berührte mich sehr stark, dass die chinesischen Katholiken in Hebei viele Generationen von Helden haben und diese nicht vergessen.
6. Zwiebelpflanze auf dem Friedhof...
Als Junge versuchte ich einmal, einige Beeren auf dem Friedhof zu essen, und wurde von älteren Personen beschämt, die mir sagten, das sähe wie Kannibalismus aus. Tatsächlich stieß ich auf eine für kommunistische Länder wie Russland und China gemeinsame Gewohnheit, Friedhöfe einfach als Grundstück zum Anbau von Gemüse oder sogar zum Bau von Häusern zu verwenden. Ich kenne viele Geschichten von Menschen, die in solchen Häusern auf Friedhofsgelände wohnen. Ihnen erscheinen die Seelen der Verstorbenen und stören die dort lebenden Menschen. Ich bin auch neugierig wegen der armen Menschen, die Zwiebeln und anderes Gemüse aus dem Yun Tai Berg Friedhof essen...
7. Alte Reliquie...
Der erste Bischof in Xian Xian war der sehr gebildete und sehr heiligmäßige Mann Francis Zhao. Er machte viele gute Werke und Projekte für seine Diözese bis zu seiner Festnahme in der 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er war etwa 70 Jahre alt und das Arbeiten im Konzentrationslager war für ihn sehr hart. Er starb im Gefängnis und wurde an unbekanntem Ort beerdigt. Irgendein nicht gläubiger Mitgefangener fand, dass dieser Mann eine ungewöhnliche Persönlichkeit war, und nach der Kulturrevolution bestand er darauf, dass Priester kommen sollten und den Ort für die Exhumierung finden müssten. Nach einigen Jahrzehnten erinnerte er sich noch immer an den Platz und niemand erwartete, dass man die Begräbnisstätte finden könnte. Es war wie ein Wunder, die ganze Geschichte, also war die Bestattung am Yun Tai Berg ein wirklich historisches Ereignis für die Diözese und der Leichnam des ersten chinesischen Bischofs wurde als Reliquie behandelt.
8. Mais Fluss (Korn-Fluss)
Ich wartete sehr aufgeregt auf das Treffen zum Jahrestag im Dorf des Priesters Zhao.
Während der Reise hatte ich den Eindruck, nicht in China, sondern in Afrika zu sein. Die Straßen wurden immer schlechter und das Reisen war nicht einfach, weil die Dorfbewohner Weizen, besonders Mais zum Trocknen auslegten. Ich stellte fest, dass alle Fahrer mit diesem seltsamen Bild vertraut sind und langsam fuhren, um damit zu versuchen, die Bauern bei ihren Bemühungen nicht zu stören. Der Priester arbeitete in der Pfarrei Ho Jiang, 50 km nördlich von Xian Xian, sein Heimatdorf war weitere 40 km südlich von Xian Xian. In Xian Xian machten wir Halt, um Arzneimittel zum Dorf Da Lu Dao mitzunehmen.
9. Die "kirchliche" Klinik des Dorfes
Bevor wir auf den Friedhof gingen, besuchten wir zuerst die Pfarrklinik in Da Lu Dao. Die in Zivil gekleidete Schwester war die Chefin der Klinik. Offiziell hat die Kirche kein Recht, soziale Institutionen zu betreiben, aber in solch gottverlassenen Orten macht es niemand etwas aus und jeder ist froh, dass es jemanden gibt, der sich um Kranke und Alte kümmern will. Die Schwester war sehr glücklich und als sie die Medizin erhielt, gab sie uns viel Obst und Gemüse als Zeichen ihrer Dankbarkeit.
Das Hospital war sehr ärmlich. Vielleicht 10 Räume, je für 2 Personen. Kein fließendes Wasser und keine Toiletten im Gebäude, nur eine traditionelle im Garten. Es gab wenige Instrumente in der Klinik: Injektionsspritzen und Blutdruckmesser. Das wertvollste Instrument waren die Hände der Schwester und ihr tiefes und freundliches Lächeln. Selbst wenn sie nicht in Schwesterntracht war, konnte man selbst in ihrem asiatischen Gesicht eine katholische Nonne erkennen.
Ich erkundigte mich nicht nach Ärzten, denn ich stellte für mich selbst fest, dass sie vielleicht einen Dae Fu (einen Arzt der chinesischen Heilpraxis) haben, der wie die anderen Dorfbewohner auf dem Bauernhof arbeitet und die Freizeit mit kranken Menschen zubringt.
Vielleicht rufen sie in dringenden Fällen in Xian Xian an. Vielleicht passierte dieselbe Geschichte dem Vater des armen Priesters. Sein Vater war erst 50 Jahre alt als er starb und der Junge war noch im Seminar. Er starb an Leberkrebs.
10. Prozession zum "Friedhof"
Zuerst zeigte mir der Priester die Kirche, gerade mal durch das Autofenster. Sie ist geschlossen, also müssen wir den Eingangsschlüssel suchen und sie später besuchen, erklärte er. Die Kirche war klein wie alle Dorfgebäude. Die Menschen befürchten, der Gebäudeschatten könnte ihren Pflanzen schaden. Wie alle Gebäude auch war die Kirche mit Straßenstaub bedeckt; die Straße hier in der Dorfmitte ist nicht asphaltiert.
Der Weg zum Friedhof war in einem solchen Zustand, dass das Auto nicht mehr weiterfahren konnte und wir zu Fuß gehen mussten. Drei Brüder des Priesters kamen mit uns. Der Priester nahm die Flasche mit Weihwasser und unter gewissen Schwierigkeiten versuchte er das Familiengrab zu finden. Ich war völlig überrascht, als ich herausfand, dass es keinen gemeinsamen Friedhof gibt, sondern dass jede Familie eigene Gräber auf dem eigenen Bauernhof hat. Die 5 Gräber, auf die wir im Baumgarten stießen, waren vom Wind halb zerstört. Da war kein Kreuz, keine Steintafeln, nichts. Der Priester rezitierte einige chinesische Gebete und seine drei Onkel rezitierten gemeinsam, sehr schön. Ich wurde gebeten, auch ein Gebet zu sprechen. Ich war sehr überrascht und versuchte, den Angelus auf Latein zu beten. Die Chinesen hier mögen Latein, daher beteten sie gemeinsam. Nachher informierte mich der Priester, dass dies die Gräber seiner Großväter und -mütter wären. Seines Vaters Grab war ein bisschen woanders, aber es bot sich das gleiche Bild. Die gleichen Gebete, der gleiche Weihwassersegen und langsam und still kehrten wir zurück zur Dorfmitte, um das Jahrtagsessen einzunehmen.
11. Jahrtagsessen
Wieder war ich überrascht. Es gab keine Gedenktafel, kein Weihrauch, keine Verbeugungen. Die Männer saßen und aßen. Sogar Bier und Reiswein war auf dem Tisch. Sie aßen Schweinernes, Entenfleisch und Garnelen. Für mich war dieser ganze Tag sehr ermüdend, also bat ich, mich zu entschuldigen und legte mich hin. Zwei Stunden später waren wir auf dem Rückweg. Ich sah wieder den Mais bei Yun Tai Berg und Xian Xian.
Der Osten ist wirklich seltsam. Seltsam sind diese Gräber. Aber sehr einfach. Vielleicht haben die Menschen hier vor dem Augenblick des Todes nicht so viel Angst wie in Europa. Sie behandeln auch ihre Bestattungen anders.
Erinnerungen
Ich erinnere mich aus Sachalin, dass die Koreaner immer irgendwelche Geheimnisse hatten. Sie erklären nie, warum sie es nicht wünschen, mit mir im November die Friedhöfe zu besuchen. Ich kann mir nur denken, dass sie für die Seelen ihrer verstorbenen Verwandten zu Hause beten. Und dass der älteste Sohn viel damit zu tun hat.
Ich erinnere mich auch an eine alte Dame, Sachiko Furukawa. Halb-Polin, Halb-Japanerin. Sie war eine gute Katholikin und war immer glücklich, wenn ich sie in Timovsk, im fernen Nord-Sachalin besuchte. Ich bemerkte, dass es in ihrer Wohnung einen typisch buddhistischen oder shintoistischen Gedenkort für Rauchopfer und Reis gab. Ich weiß, dass ihr Vater von Sachalin ausgewiesen worden und sie viele Jahre künstlich getrennt waren. Er starb in den 1960ern und erst 30 Jahre nach seinem Tod wurde er beerdigt, denn seine engsten Familienangehörigen in Sachalin konnten es nicht vorher tun. Sowjetrussland erlaubte es den eigenen Bürgern nicht, dorthin zu reisen.
Vielleicht lernte sie seit dem Augenblick der Bestattung jene traditionelle Art, die Seelen der Verstorbenen zu verehren.
Ich war neugierig, aber ich widersprach nicht. Nach so vielen Jahren im Fernen Osten habe ich mir angewöhnt, mit Kommentaren zurückhaltend zu sein.
Fr. Jaroslaw Wisniewski
Peking, 22.10.2006
(Dt. Übers. Leo Nürnberger)