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Mein Vater, der Poet...

Ryszard Wiśniewski
10.07.1938 - 03.08.2003



Vor 9 Monaten schrieb ich ein "Memento" für meine Mutter; sie lag im Sterben und ich war mir nicht sicher, ob ich rechtzeitig im Krankenhaus sein könne... ja, ich kam zu spät. Aber ich nahm an der Beerdigung teil. Nun, als ich die Nachricht über Vaters Tod erhielt, war ich wieder in Auslandsmission, fühlte mich aber besser... Ich muss mich nicht beeilen. Er legte die letzte Beichte ab und erhielt die Krankensalbung während meines letzten Besuchs im Krankenhaus in der Heimatstadt Rypin. Mein Brief über Mutter pries sie für Ihre Bemühungen, eine heilige Frau zu sein, eine heilige Karmelitin. Nun möchte ich meinen Vater preisen für seine seltsame Gabe, im Alltagsleben ein Poet zu sein. Er ging nie als gewöhnlicher Mann auf der Straße, stets gingen seine Füße "im Himmel". Es scheint, meine Persönlichkeit ist irgendeine Variante zwischen ihren Bemühungen, [durch] die Liebe glücklich und schön zu machen, selbst wenn das Ergebnis völlig anders aussieht.

Die Deutschen pflegen über die Berufung von Frauen zu sagen: Küche - Kirche - Kinder. Ja, meine Mutter handelte danach, insbesondere Kirche und Kinder waren ihre Passion. Küche war eher Vaters Sache als ihre.

Über den Mann sagen wir: Haus - Sohn - Baum. Ja, er hatte ein eigenes Haus, drei Söhne und einen kleinen Wald in seinem Garten. Es war seine Lieblingsbeschäftigung, ererbt vom Großvater, dem Förster. Wenn er sich im Wald aufhielt, fühlte er sich frei und glücklich, da bekam er seine Würde zurück. Ich schenkte ihm einige Bäume als Erinnerung an meine Ordinierung zum Diakon. Er war so glücklich, genau so wie meine Mutter. Die ganze Zeit der Vorbereitung meiner Primizfeier war eine Zeit des Friedens und der Harmonie zwischen Vater und Mutter.

Ja, mein Vater war kein guter Erzieher, er zog es vor, in den Wald zu gehen oder auf dem Lande herumzureisen als seine Söhne zu aufzuziehen.... Sein Sterben ereignete sich auch im Wald. Es ereilte ihn ein Hirnschlag, als er nach Pilzen suchte und fiel. Er wünschte, in seiner Heimatstadt zu bleiben statt bei seiner einzigen Tochter zu wohnen, die sich nach Mutters Tod um ihn kümmerte. Er floh von ihr mit dem Kommentar: "Der Wolf muss im Wald leben."

Ich fragte mich oft, warum unsere Eltern auf Hochzeitsphotos so schön aussehen, so sensible, so schöne Menschen waren und in vielen Fällen so aggressiv. Wir haben eine einfache Antwort: Weil er zu viel trinkt. Aber möglicherweise war dies nur die Spitze eines Eisbergs. Die Ursache lag tiefer. Die jüngste Schwester meiner Mutter entdeckte es mir, dass sie beeindruckt war, was für ein schönes Paar sie von Anbeginn waren. Möglich (erklärte sie), weil alle im Sternzeichen des Krebses geborenen Menschen übersensibel sind.... Aber auch ich fühle, dies ist nicht der Fall.

Ihr Benehmen war für mich keine einfache Frage. Es war für mich schwierig, meine eigene Zukunft mit solchen Eltern zu organisieren. Nur das Christentum gab gewisse Antworten. Also kann ich euch sagen, wie auch mein Priestertum ist meine missionarische Vorliebe eine Art ererbter Gabe, die ich wahrnahm beim Erforschen meiner Seele und ihrer Seelen. In der Tat, es war nicht leicht und ich bedarf noch immer der Heilung.

Es gibt da keine einfache Antwort. Aber Schweigen wird schlimmer sein als Nachfragen.

Vater war ein guter Fachmann für Landwirtschaft, aber er wollte auch Bergmann im schlesischen Südpolen sein; während meines Seminaraufenthaltes versuchte er bei Ursus, der Warschauer Traktorenfabrik, zu arbeiten. Er war immer wie Martin Eden aus den Geschichten von Jack London. Er träumte davon, nach seinen Verwandten in Frankreich zu suchen und Geld zu verdienen für ein interessanteres Leben. Das einzige fremde Land, das er besuchte, war Russland. Er kam 1993 während der Karwoche und teilte mein spartanisches Leben. Er war beeindruckt. Er bat mich, seine Beichte abzunehmen, zum ersten Mal in seinem Leben. Die nächste war 10 Jahre später während seines Krankenhausaufenthaltes, welchen ich vorher erwähnte.

Ich denke, er bedauerte es, in einem so kleinen und armen Land wie Polen während der Sowjetzeit zu leben. Er hatte viele Kenntnisse, er liebte Bücher und studierte sie immer, er begann an einer landwirtschaftlichen Hochschule, aber war unfähig, diese zu beenden wegen des Alkohols und anderer Süchte. Er suchte nur nach Glück, jeder hat ein solches Recht, er aber fand es nie.

Was mein Verhältnis zu ihm angeht, will ich dem biblischen Rat folgen: "Sohn, kritisiere nie deinen Vater, selbst wenn er sein Hirn verlieren sollte"... ja, seine letzten Momente waren von dieser Art: Er schaute wie ein verletzter Vogel mit großen Augen, die nichts mehr sahen, er hatte viel von seinem Gedächtnis verloren, er bestand darauf, wir sollten zu Hause anrufen und mit Teresa (unserer Mutter) sprechen, und einige Minuten später kam es ihm, dass sie ja tot sei, dann schüttelte er seinen Kopf in Resignation.

Nun wandelt mein Vater in himmlischen Gefilden und sucht Teresa. Sie war sehr viel weiser als er, vielleicht, weil sie älter war. Ich denke manchmal, auch in den Tagen von Mutters Sterben, dass ihre Konflikte künstlich waren... er war nur eifersüchtig... wie ihr fünftes Kind, wenn er ihre Aufmerksamkeit verlor, wurde er immer ärgerlicher, dann, wenn vier Kinder aufkreuzten. Manchmal erkläre ich mir das so, dass ihre Konflikte einen kindischen Hintergrund hatten. Ich stelle mir vor, dass sie sich auf eine sehr eigenartige, sogar verrückte Weise liebten, aber nochmals: "Wer bin ich, um sie zu kritisieren?"

Beide wurden verrückt vor Liebe.

Nun ist dieser Konflikt beendet, und ich hoffe, sie mögen sich jetzt begegnen und miteinander solch eine Freundschaft teilen, wie sie sie in der Sorge umeinander während ihrer letzten beiden Jahre hatten.... Ich hoffe sie mögen miteinander glücklich sein, und ich hoffe, das Leben ihrer Kinder möge weiser und glücklicher sein.

Indem ich euch die ganze Geschichte erzähle, ermutige ich jeden von euch, für Teresas und Richards Seelen zu beten. Sie lebten genau 40 Jahre und eine Woche zusammen; sie waren nur 9 Monate von einander getrennt. Wären sie keine Christen gewesen, hätten sie sich vielleicht nach eben mal 5 oder 7 Jahren des Glücks scheiden lassen. Der ganze Rest war nur dauernde Versuchung, ständiges Mühen um den eigenen Platz in dieser Welt und das Geben von Inspiration an die eigenen Kinder, trotz all der verrückten Schwierigkeiten der menschlichen Natur und des eigenen Charakters, den Glauben zu bewahren. Sie blieben verheiratet, um sich gegenseitig bei der Aufzucht der Kinder zu helfen und in den Augen Gottes zu wachsen. Ihre Augen waren stets voller Tränen, voller Zorn. Wahrscheinlich war das eine Liebesgeschichte.

Ich nannte meinen Vater einen Poeten. Auch wenn er nie Gedichte machte, in geschriebener Form.

Nun bitte ich jeden inständig, der diese Geschichte hört, für seine Seele zu beten, aber wieder ähnlich wie bei der Beerdigung meiner Mutter bitte ich euch, nicht zu weinen, denn sicher werden sie dort im ewigen Leben viel glücklicher sein als hier in unseren Tagen.



Fr. Jaroslaw Wisniewski

(Dt. Übers. Leo Nürnberger - 5. Dez. 2006)